Wissenschaftliches Arbeiten (Teil 2): Die Recherche

A stack of books on a table with a wall of books in the background

Ist wissenschaftliches Arbeiten eigentlich nur etwas für (zukünftige) Wissenschaftler und Forscher? Unsere Überlegungen zur Wahrheit (siehe Wissenschaftliches Arbeiten (Teil 1)) haben bereits deutlich gemacht: Die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichem Arbeiten und deren Methodik ist von unschätzbarem Vorteil, wenn es darum geht, Sachverhalte zu analysieren und Lösungen zu erarbeiten. Das ist beim Thema Wahrheit der Fall – Was ist wahr? Was soll ich glauben? – und das ist auch beim Thema Recherche nicht anders.

Der Begriff der „Recherche“, französisch für „suchen“ und „forschen“, wird im Französischen (und auch im Englischen als „research“) schon seit Jahrhunderten für „sorgfältige, also systematische Suche“ verwendet. Als solche, nämlich als sorgfältige Suche nach Wissen und als systematische Recherche ist sie die Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens. „Sorgfältig“ kann hier verschiedene Bedeutungen haben: 1. auch die kleinsten und am besten versteckten Informationen sollen gefunden werden, auf jeden Fall aber die relevanten, 2. die richtigen Informationen sollen gefunden werden (z.B. keine fake news) oder auch: 3. die Suche soll effizient, ohne Verschwendung von Ressourcen und zielgerichtet, eben systematisch vonstattengehen.

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Die Recherche als Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens ergibt also im Idealfall relevante und richtige Informationen im Zuge eines systematischen Prozesses.

1. Die Suche nach relevanten Informationen

Der Suche nach Informationen ist eine Banalität vorgeschaltet: Man muss wissen, was man sucht oder zumindest, welche Frage man beantworten möchte. Zu Beginn der Recherche und zumal zu Beginn eines Studiums, also als blutiger Anfänger im Wissenschaftsbetrieb und in der gewählten wissenschaftlichen Disziplin, wird uns meist schmerzlich bewusst, wie sehr die Effizienz des Rechercheprozesses vom Vorwissen abhängt.

Ein sorgfältiges Ausloten und Abklopfen des gewünschten, gewählten oder zugeteilten Themas wird daher dazu führen, dass weit mehr Literatur und viel mehr Daten und Informationen durchforstet werden müssen, als am Ende in der schriftlichen Arbeit Erwähnung finden. Betrachten wir das als Lehrgeld oder Orientierungsaufwand – ohne geht es einfach nicht. Die ersten Seminararbeiten im Studium sind daher in erster Linie als eine Übung in der Methodik wissenschaftlichen Arbeitens auf einem fachlich weniger anspruchsvollen Niveau anzusehen.

Die Suche nach den relevanten Informationen beginnt bereits bei der Fassung und Formulierung des Themas – noch bevor das Thema und die Forschungsfrage überhaupt feststehen – und ist notwendig, um das Thema überhaupt zu formulieren. Ein weiterer wichtiger Rechercheprozess findet dann statt, wenn das Thema ausgearbeitet wird.

Um die relevanten und auch die am schwierigsten zugänglichen Informationen zu beschaffen, muss man nicht gleich ein Studium als Bibliothekar absolvieren. Eine gute Idee ist es jedoch, sich von den wissenschaftlichen Bibliotheken Rat und Unterstützung zu holen in Form von Einführungen in die Benutzung der Bibliothek und selbstverständlich auch als Nutzer des Recherche- und Literaturangebots.

Wissenschaftliche Fachzeitschriften sind unverzichtbar für die Prüfung und Dokumentation des aktuellen Stands der Wissenschaft, des state of the art, sie sind wertvoll und daher teuer. Sie stehen jedoch Nutzern von Staats- und Universitätsbibliotheken nahezu kostenlos und gut aufbereitet zur Verfügung. Ein guter Ausgangspunkt für die Recherche sind auch Handbücher und Grundlagenwerke.

Relevant sind auch Informationen und Quellen, die das dargestellte Konzept kritisieren, belegen oder widerlegen, es analysieren, den Hintergrund von Studien und Umfragen beleuchten. Eine Untersuchung zum Thema „Frauen als Unternehmerinnen“ mit der Frage, warum in den letzten Jahren mehr Frauen in die Selbständigkeit gegangen sind, muss neben den entsprechenden Studien und Umfragen auch Abhandlungen zu den in der Arbeit behandelten gesellschaftlichen Fragestellungen enthalten. Die Studien bzw. Umfragen alleine reichen nicht aus, die behaupteten Argumente für den Anstieg der selbständigen Frauen müssen auch auf ihre Plausibilität untersucht und mit anderen Quellen abgeglichen werden.

Relevant sind aktuelle Quellen. Aber was aktuell bzw. veraltet und irrelevant ist, ist von der Fragestellung abhängig. So müssen etwa die Grundtexte der Disziplin genannt werden.

Ein Beispiel: Wenn wir über Medienkritik und die gesellschaftliche Wirkung von Medien forschen, ist Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ aus dem Jahre 1985[1] keinesfalls eine zu alte Quelle, sondern vielleicht sogar unabdingbar. Wenn wir die Kulturdimensionen von Hofstede diskutieren, müssen wir das Original von Hofstede[2] zitieren, aber natürlich auch die aktuelle Rezeption und Kritik – beides sind absolut relevante Informationen im wissenschaftlichen Diskurs.

Diese Ausführungen zeigen schon, dass nur im jeweiligen Einzelfall anhand der Fragestellung beurteilt werden kann, was relevant ist und was nicht. Das Ziel muss sein, die Fragestellung zu erörtern und hierbei den aktuellen Stand der Wissenschaft ausreichend zu reflektieren.

2. Die richtigen Informationen finden

„Richtig“ zielt hier auf Informationen ab, die zum Thema und zur Fragestellung passen und einen Beitrag zur Beantwortung leisten, aber auch auf Informationen, die stimmen, die geprüft und belegt wurden.

Vielleicht ist dieser Aspekt im Zeitalter des „Post-Faktischen“ die eigentliche, neue Herausforderung an die wissenschaftliche Recherche: Viel häufiger und unverfrorener als früher werden Fakten offen als Fälschung und Lügen ungeniert als Fakten deklariert. Informationen (zweckgerichtetes Wissen) und Falschmeldungen sind in nie zuvor gekannten und geahnten Mengen mit einem Klick oder Wischen für jeden verfügbar.

Doch wie wählen wir aus, was zur Fragestellung passt, was stimmt, was nur eine Meinung oder Wunschdenken ist? Wie prüfen wir überhaupt, ob etwas stimmt? Ein Prüfsiegel nach dem Motto „geprüfte Wahrheit“ wäre da doch die Lösung, an die uns die gerade in den Hauptnachrichten veröffentlichte Meldung denken lässt: Facebook wird seinen Nutzern von nun an eine Warnmeldung anzeigen, wenn sie auf Falschmeldungen stoßen.[3] Doch auch dieses Siegel bzw. diese Markierung von Falschmeldungen funktioniert nur über die sorgfältige Recherche: Die entsprechenden Meldungen in Facebook werden von nun an von dem gemeinnützigen, spendenbasierten Recherchezentrum Correctiv[4] geprüft und gegebenenfalls als Falschmeldung markiert.

Wenn es um wissenschaftliche Publikationen geht, übernehmen die Prüfung der Artikel und Veröffentlichungen auf ihren Wahrheitsgehalt der Verlag bzw. externe Prüfer, sogenannte Peer Reviewer, also Wissenschaftler derselben Disziplin (= Peers). Meist prüfen zwei Peer Reviewer unabhängig voneinander.[5]

Automatische Prüfungen, Wahrheitssiegel oder allgemeingültige Merkmale für den Wahrheitsgehalt gibt es nicht, es gilt vielmehr stets aufs Neue zu prüfen und mehrere Kriterien zu berücksichtigen. Generell gilt, dass wir mit unserer Fähigkeit zu unterscheiden – Fakten von Lügen, Meinungen von Manipulationen, wahre Schnäppchen von Lockangeboten oder gar Betrug – gut fahren, sofern wir diese Fähigkeit nutzen. Ein Verzicht darauf würde bedeuten, dass wir uns den Meinungen und Entscheidungen anderer ausliefern.

Das passiert ohnehin bereits häufig genug, etwa wenn wir im Internet recherchieren und Google oder Facebook uns aus zahlreichen früheren Suchaufträgen bereits so gut zu „kennen“ glauben, dass sie uns nur eine bestimmte, auf uns zugeschnittene Auswahl von Suchergebnissen präsentieren. Was für uns relevant ist, bestimmt hier der Anbieter mit seinem Algorithmus, nicht wir!

Vorgefertigte Meinungen, Haltungen, Argumente zu übernehmen ist vordergründig sehr bequem, spart Zeit und Energie und es bleibt uns überlassen, ob wir unser Leben so gestalten wollen. Wenn wir allerdings wissenschaftlich arbeiten wollen, haben wir keine Wahl: Wir müssen unterscheiden, prüfen, anzweifeln und ein Argument oder eine These von mehreren Seiten untermauern oder anfechten.

Die Prüfung von Quellen ist ein wichtiger Schritt im Prozess wissenschaftlichen Arbeitens, der mit mehr Übung immer besser gelingt. Die Prüfung anhand der folgenden Kriterien kann Aufschluss darüber geben, ob eine Quelle zuverlässig ist und ob sie zum Zwecke wissenschaftlichen Arbeitens herangezogen werden kann:

  • Person und Funktion des Autors : Schreibt er/sie als Wissenschaftler? Wird der Text als wissenschaftlicher Text für eine entsprechende Institution geschrieben? Zu einem wissenschaftlichen Zweck?
  • Quellenverweise: Verweist der Text auf Quellen? Verweist er auf seriöse Quellen?
  • Methoden: Wendet der Autor wissenschaftliche Methoden an? Legt der Text seine Methoden offen? Erklärt er, wie er zu den Ergebnissen kam?
  • Daten: Werden die Daten offengelegt? Wird offengelegt, wie die Daten erhoben wurden?
  • Stil und Form : Handelt es sich um einen sachlichen, differenzierten Stil? Entspricht die Form den Anforderungen?

Die Quellen müssen den aktuellen Stand der Wissenschaft in Bezug auf die Forschungsfrage repräsentieren, Gegenmeinungen und Kritik sind ebenfalls zu berücksichtigen. Der Autor einer wissenschaftlichen Arbeit muss auf differenzierte Weise den aktuellen Stand der Wissenschaft darstellen.

Grundlage einer wissenschaftlichen Arbeit ist wissenschaftliche Literatur. Nicht dazu gehören populärwissenschaftliche Werke, Ratgeber, Erfahrungsberichte, Reiseberichte, aber auch Stellungnahmen von Unternehmen zu wissenschaftlich relevanten Themen. Sie richten sich nicht an ein kritisches wissenschaftliches Fachpublikum, sondern an die allgemeine Öffentlichkeit. Sie sind deshalb nicht der Kontrolle der scientific community unterworfen, mit ihnen werden rein kommerzielle Zwecke angestrebt.

MBS Academic Writing – Research3. Die systematische Suche

Wissenschaftliches Arbeiten ist gleichzusetzen mit einem systematischen Vorgehen: Der Text selbst muss logisch aufgebaut sein, es müssen Definitionen, Theorien, die Forschungsfrage, Argumente und Gegenbeweise ausgearbeitet und sinnvoll angeordnet werden, um die Forschungsfrage bestmöglich zu beantworten. Diese Forderung nach systematischem Vorgehen gilt auch für die Recherche. Sie hat den großen Vorteil, dass wir uns so Mehrarbeit, doppelte Arbeit und auch Frustration etwa aufgrund unübersichtlicher und unstrukturierter Datenmengen ersparen oder diese zumindest reduzieren. Die Auswertung von Literatur beinhaltet etwa folgende Schritte:

  1. Theorien mit Bezügen zum Thema identifizieren
  2. Quellen in den Theoriebereichen suchen
  3. Bezüge zum Thema identifizieren
  4. Texte dokumentieren (Kopien, Dateien, Exzerpte, Notizen etc.)
  5. Zitate sinngemäß interpretieren (Kontext)
  6. Fachgerechte Zitation ausführen (wörtlich, indirekt, Fußnote, Literaturverzeichnis)

Bei allen Schritten ist stets aufs Neue darauf zu achten, die Forschungsfrage präzise zu formulieren und ausreichend einzugrenzen. Wenn wir vor dem Präsenzbestand der Universitätsbibliothek München zum Thema Unternehmensstrategien stehen, sind mehrere Meter Buchrücken zu bewältigen, wenn wir nicht wissen, was wir suchen. Eine klare Formulierung und stringente Fokussierung des Themas verlangen geistige Anstrengung, entlohnen diese aber mit einer erheblichen Ersparnis an Zeit und Mühe.

Bei der Ausarbeitung der Publikation ist darauf zu achten, dass die Quellen entsprechend eingefügt und ausgewertet werden. So müssen etwa zum Beleg von Thesen oder zur Diskussion von Argumenten stets mehrere Meinungen zitiert, also mehrere Quellen genannt werden. Auch wenn die Theorie eines Wissenschaftlers diskutiert wird, reicht es nicht, alleine Publikationen dieser Person zu zitieren. Die Diskussion und Bewertung dieser Theorie, ihre Einordnung in die Wissenschaftsdisziplin und auch ihre Beurteilung im zeitlichen Kontext erfordern zwingend die Nennung auch anderer Quellen, anderer Wissenschaftler, die sich mit der Theorie auseinandergesetzt haben. Ein Kapitel einer Arbeit, das nur eine einzige Quelle aufweist, verstößt damit gegen die Objektivität, einen Grundsatz wissenschaftlichen Arbeitens.

Natürlich spielt bei der Verwertung von Quellen auch intellektuelle Redlichkeit eine bedeutsame Rolle. Selten ist es eine kleine Nachlässigkeit, ein unbedeutendes Versehen, wenn Texte, Argumente und Gedanken anderer Autoren ohne Nachweis in die eigene Ausarbeitung übernommen werden. Dieses „Schmücken mit fremden Federn“, das Plagiieren fremder intellektueller Arbeit, gehört zu den erbärmlichsten Tricks in der Welt der Wissenschaft. Der Nachweis von Plagiaten führt an unserer Hochschule nicht nur zu einer mangelhaften Bewertung der entsprechenden Arbeit, sondern kann auch weiterreichende Konsequenzen haben.

Das systematische und sorgfältige Suchen nach möglichst gesichertem Wissen oder wenigstens nachgewiesenen Fakten ist nicht nur grundlegender Baustein wissenschaftlicher Arbeit, sondern gehört zu den soft skills, die Menschen befähigen, ein gutes und auch ökonomisch zufriedenstellendes Leben zu führen.

Ob es um die Suche nach einem attraktiven Stellenangebot als Einstieg in die vielversprechende Karriere geht, die Suche nach der richtigen Geldanlage oder nach Menschen, denen man Vertrauen entgegenbringt (nicht: Partnerwahl!): Suche nach unverfälschter, aktueller Information, Abgleich von Informationen aus verschiedenen Quellen und Beurteilung deren Glaubwürdigkeit und danach ihre Verwertung – das sind Regeln allgemeiner Lebensklugheit. Was für ein Glück, wenn man so etwas Gutes schon in jungen Jahren an seiner Hochschule erlernt und es nicht auf dem harten Weg, über schlechte Erfahrung, erwerben muss!

 

 

[1] Postman, Neil (1985). Amusing Ourselves to Death, USA: Penguin
[2] Hofstede, Geert (1980) Culture’s Consequences – International Differences in Work Related Values, Newbury Park, London, Neu Delhi
[3] siehe Blogpost von Facebook unter http://de.newsroom.fb.com/news/2017/01/umgang-mit-falschmeldungen/ vom 15.01.2017
[4] https://correctiv.org/
[5]
Eine weitere Prüfung in Form eines Rankings von Fachzeitschriften im Bereich Wirtschaft nimmt das Portal vhb-online vor. Hier findet man „gerankte“ Fachzeitschriften; die Kriterien für die Einstufung sind die Maßnahmen, die die jeweilige Zeitschrift zur Prüfung der Veröffentlichungen einsetzt. Siehe hierzu:
http://vhbonline.org/vhb4you/jourqual/

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Über Prof. Dr. Gabriella Maráz 34 Artikel
Gabriella Maráz ist Professorin für Interkulturelles Management und Methodenlehre mit den Schwerpunkten Informations- und Kommunikationspsychologie und Arbeitstechniken.
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Über Prof. Dr. Wolfgang Zirus 22 Artikel
Prof. Dr. Zirus studierte Betriebswirtschaft in Regensburg. Er arbeitete einige Jahre für die Dresdner Bank (Kreditrevision) und machte sich dann als freier Dozent selbständig. In dieser Funktion arbeitete er auch für die Munich Business School, zunächst selbständig, dann als angestellter Dozent. Er promovierte berufsbegleitend an der LMU München über problemorientierte Lernumgebungen. Heute ist Prof. Zirus an der MBS Modulleiter und Dozent für finanzwirtschaftliche Fächer. Er arbeitet daneben weiter als selbständiger Dozent.