Transformative Technologien (Transtech) und ihr Potenzial zur Steigerung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz (Teil 1)

MBS TransTech

Achtsamkeit, Meditation und Glück im Sinne von subjektivem Wohlbefinden sind gegenwärtig die Trendthemen für Mitarbeiterschulungen und Seminare in Unternehmen. In der Regel geht es dabei darum, sich über Stress auslösende Faktoren bewusst zu werden und im Rahmen von Übungen und Retreats zu lernen, sich von diesen zu lösen.

Zu diesen Stress auslösenden Faktoren gehören uns alltäglich umgebende und oft unser Verhalten stark beeinflussende Technologien wie Smartphones, E-Mail und Social Media. Im Rahmen einer Rückbesinnung auf das Wesentliche werden daher gerne explizit Orte gesucht, die „kein Netz“ haben, weder WiFi noch Mobilfunk, und so einen „Digital Detox“ ermöglichen. Und doch gibt es eine Bewegung, die sich damit beschäftigt, wie Technologien ganz gezielt dazu eingesetzt werden können, das subjektive Wohlbefinden der Menschen zu steigern.

Transformative Technologien (Transtech; einen ausführlichen Überblick über das Thema gibt es z.B. hier), manchmal auch „Well-being-Technologien“ genannt, sind hier das Thema der Stunde. Dabei handelt es sich um skalierbare kommerzielle Hardware und Software, die entwickelt wurde, um das subjektive emotionale und mentale Wohlbefinden zu verbessern. Ein Zentrum der Bewegung liegt an der Sofia University mitten im Silicon Valley in Palo Alto. Das dortige Transformative Technology Lab (TTL) veranstaltet die jährliche Transformative Technology Conference und führt eine Liste der wichtigsten 200 Transtech-Unternehmen und Projekte vornehmlich aus den USA, in die in den vergangenen Jahren übrigens über 1,6 Milliarden USD investiert wurden. Damit bietet das TTL einen wesentlichen Ankerpunkt für die Community, um sich über Projekte an der Schnittstelle zwischen subjektivem Wohlbefinden des Menschen und Technologie auszutauschen.

Das TTL unterteilt den Kosmos transformativer Technologien gegenwärtig in elf Bereiche:

  • Sensor Tech (z.B. Wearables wie Fitbit)
  • Biofeedback Tech (z.B. Spire, welches die Atemfrequenz und -intensität misst)
  • Bio Tech (z.B. 23andme zur DNS-Analyse)
  • Biostim Tech (z.B. Vagusnerv-Stimulation mit Hilfe von gammaCore)
  • NeuroTech (z.B. Muse)
  • Neurostim Tech (z.B. Neurostimulation mit Hilfe von Halo Sport-Kopfhörern)
  • Sleep Tech (z.B. mit Hilfe von kokoon-Kopfhörern)
  • Perception Tech (diverse VR- und AR-Geräte)
  • Healthy Spaces Tech (z.B. der portable Luftverschmutzungsmonitor Atmotube)
  • App Tech (diverse Apps wie z.B. Headspace)
  • Data Tech (AI, Big Data, Real Time Analytics)

Die zur Anwendung kommenden Technologien sind nichtinvasiver Natur, das heißt, sie wirken von außen auf den Menschen ein. Sie befinden sich in der Nähe des Körpers oder werden direkt am Körper getragen. Entsprechend müssen die Technologien in der Lage sein, relevante Teile des menschlichen Körpers von außen einerseits analysieren zu können und andererseits unmittelbar zu stimulieren oder zumindest dem Menschen ein Signal zu einer entsprechenden Verhaltensveränderung zu geben.

Eine Möglichkeit für Transtech, den Menschen beim Stressabbau zu unterstützen, kann beispielsweise sein, ihn auf seine Atmung hinzuweisen. Auch wenn die Atmung die meiste Zeit autonom stattfindet, besteht doch die Möglichkeit, diese zumindest für eine gewisse Zeit bewusst zu steuern. Auf diese Weise können wir beispielsweise durch Atemübungen, tiefes Atmen oder Qigong unser parasympathisches Nervensystem stimulieren. Dieses hat – im Gegensatz zum sympathischen Nervensystem, welches bei Stress, Angst, Müdigkeit usw. stimuliert wird – eine beruhigende Wirkung. So ist es möglich, über den Umweg der Atmung bewusst beispielsweise die Herzfrequenz zu verringern und den Blutdruck zu senken. Eine entsprechende Atmung wäre also ausgesprochen gut für ein positives Wohlbefinden. Doch: Der Alltag lenkt uns laufend ab, wir atmen flach und kurz und lassen so unseren Körper, unser Nervensystem und unser Gehirn Stress erfahren.

Aus dem inzwischen vielfältigen Angebot der transformativen Technologien bietet sich in diesem Fall z.B. Spire aus dem Biofeedback-Segment an. Das kleine, optisch einem Stein nachempfundene Gerät wird am Hosenbund nach innen getragen und misst anhand der Bauchbewegungen Atemfrequenz und -tiefe. Basierend auf einem Algorithmus werden dann beispielsweise in Phasen der Anspannung kurze Vibrationssignale gesendet, die einen daran erinnern, doch einmal richtig durchzuatmen bzw. wieder regelmäßiger und tiefer zu atmen. In einer App lässt sich auch im Nachhinein genau nachverfolgen, wann man sich (basierend auf den Atmungsmessungen) in einer Phase der Anspannung, des Fokus oder der Ruhe befand. Die App hilft ebenso durch optische Signale dabei, die Atmung wieder zumindest der individuellen Durchschnittsatmung anzupassen.

MBS Spire
Tages-Statistiken in der Spire-App. (© Spire – www.spire.io)

Angesichts eines sich stetig ändernden Arbeitsumfeldes und der Tatsache, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer weltweit Arbeit als eine Last sieht, herrscht ein zunehmendes Interesse auch von Unternehmen an den Möglichkeiten von Transtech. So setzen zahlreiche Unternehmen unterschiedliche Transtech-Angebote meistens im Rahmen ihrer Unternehmensgesundheitsprogramme ein. Diverse Transtech-Anbieter haben sich auf diesen Bedarf eingestellt. Beispielsweise vergibt focus@will, ein Anbieter von Musik und Klängen, die Mitarbeitern helfen sollen, sich zu fokussieren, Teamlizenzen. Lumo Lift, ein kleiner unterhalb des Schlüsselbeins unter der Kleidung getragener Sensor, erinnert durch Vibration an eine gesunde Haltung und ist auch im Rahmen eines „Corporate Wellness“-Programms erhältlich. Lumo zählt Unternehmen wie Facebook, Google, Exxon Mobile und Nestlé zu seinen Kunden. Auch Muse, ein an der Stirn getragenes Gerät, mit dessen Hilfe sich Meditationen durch ein Echtzeit-Feedback-EEG optimieren lassen, bietet spezielle „Corporate Wellness“-Programme an. Ziel ist es in allen Fällen natürlich, den Mitarbeitern zu ermöglichen, ihr produktives Potenzial im Unternehmen so weit wie möglich zu entfalten.

Ausblick

Zahlreiche Geräte und Anwendungen haben in den vergangenen Jahren Marktreife erreicht und sind mehr oder weniger populär. In vielen Fällen steckt das Produkt jedoch zum Teil schon seit Längerem in der Entwicklung fest, insbesondere da die Effekte auf das Wohlbefinden der Nutzer (noch) nicht immer eindeutig nachgewiesen werden konnten. So ist es in den Bereichen Neurotech und Neurostim Tech zwar heute möglich, ehemals nur im medizinischen Bereich verfügbare Geräte auch für den Privatnutzer einzusetzen, doch häufig mangelt es noch an Zuverlässigkeit oder in der Forschung nachhaltig verankerten Effekten. So befinden wir uns noch am Beginn des Transtech-Zeitalters mit immer wieder auch leeren Versprechungen.

Dennoch: Entrepreneure machen gemeinsam mit Medizinern, Ingenieuren und Designern schnelle Fortschritte und Nutzer sind offen für Geräte, die ihr mentales und emotionales Wohlbefinden fördern. Bei all dem gilt es zu beobachten, wie sich Digital Detox und Transtech letztendlich miteinander vertragen werden – und ob der Einsatz von Transtech nicht doch zu mehr Stress führen wird, da für viele erst dadurch das Optimierungspotenzial des Geistes und des Körpers transparent gemacht wird, welches es dann zu erreichen gilt.

In Teil 2 werfen wir einen Blick auf die Besonderheiten von Neuro Tech und Neurotism Tech und auf deren Einsatzmöglichkeiten in Unternehmen weltweit.

MBS Happiness im BusinessLiteraturhinweis:

André Daiyû Steiner, Carolin Hefele, Prof. Dr. Christian Schmidkonz (2018): Happiness im Business, Wiley.

MBS Prof. Dr. Christian Schmidkonz
Über Prof. Dr. Christian Schmidkonz 43 Artikel
Prof. Dr. Christian Schmidkonz ist Studiengangsleiter des Programms "Master International Business" an der Munich Business School. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Conscious Business, Happiness at Work sowie Wirtschaft in China und Taiwan. Christian Schmidkonz hält ein Diplom in Volkswirtschaftslehre von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er studierte Chinesisch an der Fu Jen Universität in Taiwan und ist Alumnus des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Nach Stationen am ifo Institut für Wirtschaftsforschung und bei der internationalen Unternehmensberatung Capgemini gewann er als Entrepreneur 2008 den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausgeschriebenen Gründungswettbewerb „Multimedia“. Christian Schmidkonz wurde 2020 mit dem erstmalig vergebenen „MBS Teaching Award" ausgezeichnet.