FlixBus‘ Übernahme von Greyhound

A FlixBus bus on the road, seen from behind

In diesem Blogartikel wirft MBS-Professor Dr. Michael Rüdiger einen genaueren Blick auf die Übernahme von Greyhound, mit der FlixBus jüngst für Schlagzeilen sorgte, und beleuchtet einige der Herausforderungen, denen sich FlixBus als Europas größtes Fernbusunternehmen in den kommenden Monaten infolge dieses Mergers & Acquisitions-Projekt stellen müssen wird.


FlixBus, eine Marke von FlixMobility, wurde 2011 von Jochen Engert, Daniel Krauss und André Schwämmlein in Deutschland gegründet und nahm 2013 die ersten Linien in Bayern in Betrieb. Das Ziel des Unternehmens ist es, den Kund*innen ein sicheres, einfach zu bedienendes und nachhaltiges Fernverkehrsmittel in fast ganz Europa sowie in vielen anderen Teilen der Welt, einschließlich der USA und seit November 2021 auch in Brasilien, anzubieten. Heute ist FlixBus Europas größtes Fernbusunternehmen mit Niederlassungen in mehr als 35 Ländern. Im Jahr 2019 beförderte FlixBus mehr als 60 Millionen Kund*innen, und auch wenn die Zahl der Reisenden im Jahr 2020 und wahrscheinlich auch 2021 aufgrund der COVID-19-Pandemie geringer ausfallen wird, kann es keinen Zweifel am langfristigen Wachstum dieses Unternehmens geben.

Das Angebot von FlixBus ist eine spannende Kombination verschiedener digitaler Wertschöpfungstools. Zum einen nutzt FlixBus ein nutzungsfreundliches Plattform-Geschäftsmodell, um Reisenden einen einfachen Zugang zur Buchung von Routen zu ermöglichen. Über die digitale Plattform arbeitet FlixBus auch mit unzähligen unabhängigen Busunternehmen zusammen, die die Busse besitzen und betreiben, welche die Kunden mit dem Unternehmen in Verbindung bringen. FlixBus ist stolz darauf, nur einen einzigen Bus in ganz Europa besitzen. Mit anderen Worten: FlixBus ist der Inbegriff eines “ Asset-Light“-Unternehmens im Bereich des Lieferkettenmanagements. Anstatt Busse zu besitzen und Fahrer*innen zu beschäftigen, stellt FlixBus die Verbindung zwischen Kund*innen und Busbesitzer*innen oder -betreiber*innen her.

Das Unternehmen ist aus verschiedenen Gründen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Zum einen aufgrund der Bedeutung eines nachhaltigen Verkehrsangebots in einer Zeit, in der das Reisen wegen der CO2-Emissionen allgemein kritisch gesehen wird. Zum anderen zählt FlixBus, bzw. seine Muttergesellschaft FlixMobility, zu den deutschen „Einhörner“, d.h. zu denjenigen Start-ups mit einer Marktkapitalisierung von über einer Milliarde Euro. Darüber hinaus war FlixBus in letzter Zeit in den Nachrichten, weil es eines der bekanntesten amerikanischen Unternehmen, Greyhound, für insgesamt 172 Millionen Dollar übernommen hat.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist diese Übernahme aus verschiedenen Gründen äußerst interessant. Anders als FlixBus ist Greyhound seit mehr als 100 Jahren in der Transportbranche tätig und entgegen dem Asset-Light-Geschäftsmodell von FlixBus besitzt und betreibt das amerikanische Unternehmen rund 1.300 eigene Busse und beschäftigt eigene Fahrer*innen.

In den kommenden Monaten wird FlixBus daher entscheiden müssen, wie Greyhound in die bestehenden Strukturen und Prozesse von FlixBus integriert werden kann. Obwohl jede Übernahme eine Herausforderung darstellt, sind sich Expert*innen im Allgemeinen einig, dass es viel einfacher ist, ein kleines Unternehmen in ein größeres zu integrieren. Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn beide Unternehmen recht groß sind, wie es bei FlixBus und Greyhound der Fall ist. Die Wissenschaft hat zahlreiche Herausforderungen identifiziert, denen sich Unternehmen nach einer Übernahme und während der Integration eines Wettbewerbers in den eigenen Betrieb stellen müssen. Nachfolgend möchte ich auf einige potentielle Herausforderungen eingehen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:

1. Kulturelle Herausforderungen

Wenn FlixBus diese beiden großen Unternehmen zu einem einzigen machen will, muss die Unternehmenskultur ein Aspekt sein, dem das Management viel Aufmerksamkeit schenkt. Greyhound ist ein altes amerikanisches Unternehmen, das es seit mehr als einem Jahrhundert gibt. FlixBus hingegen ist ein sehr junges, agiles und dynamisches Unternehmen mit einer sehr schlanken und flexiblen Denkweise und Geschäftsstrategie. Wie diese Kulturen miteinander verschmelzen können, um sicherzustellen, dass die beiden Unternehmen zu einer Einheit werden, wird mit Sicherheit eine Herausforderung sein.

2. Dynamik erhalten

Aus psychologischer Sicht hat diese Fusion nicht nur für FlixBus, sondern auch für Greyhound eine beträchtliche Dynamik ausgelöst. Die Übernahme durch ein junges, schnell wachsendes Start-up-Unternehmen hat sicherlich bei den meisten Mitarbeiter*innen von Greyhound eine optimistische Einstellung hervorgerufen, die die Zukunft rosig aussehen lässt. FlixBus wird nun dafür sorgen müssen, dass dieser positive Schwung nicht verloren geht, wenn die Veränderungen nicht schnell genug stattfinden.

3. Kommunikative Herausforderungen

FlixBus muss sicherstellen, dass die Kommunikation mit allen Beteiligten, d. h. mit Investor*innen, Mitarbeiter*innen und Kund*innen einheitlich und nahtlos erfolgt. Die verschiedenen Interessengruppen müssen über (Zeit-)Pläne informiert werden, um das Vertrauen und das Engagement für diese Übernahme weiterhin zu gewährleisten.

4. Bindung von Kund*innen

Eine der größten Herausforderungen besteht wohl in der Wahrnehmung, der Bindung und dem Engagement der Kund*innen. Unternehmen wie FlixBus haben es geschafft, dass Busfahren in Europa als etwas Hippes, Modernes, Sicheres und Umweltfreundliches gilt. Die Wahrnehmungen sind daher äußerst positiv. In den USA ist oft genau das Gegenteil der Fall. Busreisen werden meist als Reisemöglichkeit für Menschen gesehen, die sich das Fliegen nicht leisten können oder kein eigenes Auto besitzen, also für einkommensschwache Menschen aus der Unterschicht. Busse haben oft den Ruf schlechter Qualität und die Busterminals befinden sich häufig in den weniger begehrten Vierteln vieler großer US-amerikanischer Städte. FlixBus wird die US-Verbraucher*innen davon überzeugen müssen, dass diese Wahrnehmung nicht mehr der Realität entspricht und dass das Reisen mit FlixBus eine völlig andere und höchst wünschenswerte Reiseoption darstellt.

Es wird spannend sein, zu beobachten, wie sich die Dinge in den nächsten Jahren entwickeln. Spannend ist auch, dass die MBA-Studierenden der MBS an einem gemeinsamen Business Project mit FlixBus arbeiten und so einige der Entwicklungen bei FlixBus und Greyhound in den kommenden Monaten aus erster Hand miterleben werden.

Für Inhalt und Form dieses Beitrags ist der Autor verantwortlich.
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Über Prof. Dr. Hans Michael Rüdiger 6 Artikel
Hans Michael Rüdiger ist Professor für International Business und Supply Chain Management sowie Studiengangsleiter für den MBA General Management an der Munich Business School. Er hält einen MBA und einen MIM (Master of International Management) von der Thunderbird School of Global Management und der Arizona State University, wo er auch seinen Bachelor in Human Resource Management absolvierte. Nach Abschluss seines Studiums war Hans Michael Rüdiger als Berater und Manager in internationalen Unternehmen wie Siemens und Honeywell International tätig. Seit 2004 arbeitet er neben seiner Lehrtätigkeit als selbstständiger Unternehmensberater und ist Partner des IKO-Instituts für Interne Kundenorientierung.