Wie Unternehmen die digitale Transformation strategisch bewältigen können und wettbewerbsfähig bleiben

Man hand placing new stone on yenga tower

Die digitale Transformation ist nicht erst seit der Coronapandemie in aller Munde. Die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen und erfordern von Führungskräften eine strategisch durchdachte und zeitnahe Steuerung aller Funktionen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch wie gelingt, die vollumfängliche digitale Transformation eines Unternehmens? Wo fängt man an und welche Rolle spielen vor allem auch die strategische Planung und Ausrichtung? Diese und weitere Fragen beantworten Dr. Michael Rüdiger, MBS Professor und Trainer im Lehrgang Certified Strategy Manager, und Lennard Grewe, MBS-Alumnus sowie Gründer und Geschäftsführer der strategischen Digital-Beratung eccelerate, im Interview.

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MBS Insights: Warum fordert das digitale Zeitalter neue Ansätze, Geschäftsmodelle und Konzepte?

Michael Rüdiger: Für diese Frage gibt es natürlich keine allgemeingültige Antwort. Unabhängig von Industrie oder Region ist jedoch anzumerken, dass die meisten Unternehmen mit einem analogen Mindset gegründet wurden. Prozesse und Geschäftsmodelle wurden nicht mit den digitalen Möglichkeiten, welche uns heute zur Verfügung stehen erdacht und entwickelt. Vor dem Hintergrund der „neuen“ digitalen Möglichkeiten ist es deshalb notwendig, existierende Ansätzen, Geschäftsmodelle und Prozesse neu zu beurteilen und zu evaluieren. Wichtig ist, dass man bei dieser Re-Evaluation ergebnissoffen ist. Einige Prozesse und Geschäftsmodelle können durchaus noch relevant, effektiv und effizient sein, während andere den neuen Gegebenheiten und Möglichkeiten folgend angepasst werden müssen und wieder andere komplett obsolet sein können. In diesen Fällen müssen Prozesse und ggf. auch Geschäftsmodelle neu konzipiert und erdacht werden.

Prof. Dr. Michael Rüdiger, Professor and Academic Director of the MBA program at Munich Business School

Aber damit ist es noch nicht getan. Es gibt eine Vielzahl an Faktoren, die bei diesem ganzen Prozess berücksichtigt werden müssen. Hier wäre zum einen die Unterscheidung zwischen B2B- und B2C-Unternehmen und -Geschäftsmodellen zu nennen:
Im B2B-Bereich sehen wir seit Langem einen steigenden Anteil der Wertschöpfung, welcher von Zulieferer*innen verantwortet wird. Diese Zulieferer*innen müssen effektiv und zum beiderseitigen Nutzen in die Prozesse ihrer Kund*innen integriert werden. Geschieht dies nicht, gehen erhebliche Anteile möglicher Kosteneinsparungen verloren. Digital vernetzte Prozesse und Tools spielen hier eine entscheidende Rolle. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung Möglichkeiten zu Kooperation und Informationsaustausch, auch über Kontinente hinweg, welche es in der Vergangenheit nicht gab oder kostenbedingt nicht praktikabel waren. Diese Möglichkeiten nicht wahrzunehmen, würde zu einem nicht unerheblichen Verlust von Wettbewerbsvorteilen führen.
Im B2C-Bereich verändert sich das Konsumverhalten der Endkund*innen rapide. Wir sehen einen seit Jahren steigenden Anteil von Onlinekäufen, während in den meisten Branchen Käufe in Ladengeschäften rückläufig sind. Kund*innen vertrauen außerdem anderen Medien und Quellen, um sich über mögliche zukünftige Käufe zu informieren und sind zunehmend bereit, jungen Unternehmen, auch aus dem Ausland, ihr Vertrauen zu schenken.

MBS Insights: Was macht digitale Innovation aus?

Michael Rüdiger: Digitale Innovation berührt alle Aspekte eines Unternehmens oder Geschäftsmodelles. Dies betrifft sowohl unternehmensinterne als auch externe Prozesse in Bezug auf Informationsverarbeitung- und bereitstellung. Es betrifft aber auch die eigenen Mitarbeiter*innen, die Kund*innen und Lieferant*innen sowie die Kooperationspartner*innen. Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang auch über Produkt- und Service-Innovationen sprechen. In allen drei Bereichen müssen immer die Kundschaft und der Nutzen, den digitale Innovationen für diese haben, im Vordergrund stehen.

MBS Insights: Warum hinken viele Unternehmen bei der digitalen Transformation noch hinterher und welche Rolle spielt dabei das Thema der Strategie?

Lennard Grewe: Viele Unternehmen begreifen die digitale Transformation vor allem als technologische Herausforderung. Dabei spielt sich der größte Wandel in den Köpfen der Mitarbeiter*innen und den operativen Prozessen ab.
Die Strategie sollte daher neben einer technologischen Komponente unbedingt auch Maßnahmenfelder beschließen, bei denen es um den Wandel des Kerns, d.h. den Wandel der Tätigkeit eines*r jeden Einzelnen, geht. Ich empfehle hier im Rahmen von Pilotprojekten neue Arbeitsweisen einzuüben, idealerweise mit den Mitarbeiter*innen, die aufgeschlossen sind für neue Methoden und Tools. Die erfolgreichen „Piloten“ dienen dann als Vorlage für die gesamte Organisation.
Strategisch muss aber klar sein, dass nicht die gesamte Organisation bei diesem Wandel mitgenommen werden kann. Es wird Veränderungen und Reorganisationen geben müssen; gleichzeitig muss aber auch Raum für junge/neue Talente eingeräumt werden. Dies ist sicherlich eines der schwierigsten Unterfangen, vor allem für große Unternehmen, in denen hierarchische Strukturen in Stein gegossen sind und wenig Durchlässigkeit für neue Talente besteht.

Michael Rüdiger: Wie bei jedem anderen Strategiefindungsprozess muss man sich über Mission und Vision des Unternehmens im Klaren sein, sowohl das externe Umfeld als auch die internen Stärken und Schwächen analysieren und dann eine Strategie finden. Das ist nicht einfach, aber machbar. Die größten Herausforderungen liegen meiner Ansicht nach in zwei Aspekten: Wieviel Budget stellen wir für Digitalisierungsinitiativen sowie -strategien zur Verfügung und wo fangen wir an?

MBS Insights: Welche Rolle spielen im Kontext der digitalen Transformation neue Geschäftsmodelle?

Lennard Grewe, alumnus of Munich Business School

Lennard Grewe: Die Rolle gänzlich neuer Geschäftsmodelle im Kontext der Digitalisierung wird meines Erachtens von vielen etablierten Unternehmen überschätzt. Wie Michael schon angerissen hat, gibt es eine Vielzahl an Geschäftsmodellen, die durchaus noch relevant sind und lediglich angepasst werden müssen. Schließlich sollte die Digitalisierung dazu führen, das bestehende Geschäftsmodell moderner und optimierter aufzustellen. Ein neues Geschäftsmodell kann als Testballon dienen, aber nicht dazu, eine bestehende Organisation digital zu wandeln.

MBS Insights: Wie schafft man es, wettbewerbsfähig zu bleiben?

Michael Rüdiger: Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Unternehmen eine nicht unbedeutende strategische Flexibilität aufweisen. Unternehmen müssen das aktuelle nationale und internationale Marktgeschehen sehr genau mit Hinblick auf das eigene Geschäftsmodell oder die eigenen Prozesse im Auge behalten. Je nach Entwicklung muss man in der Lage sein, sich selbst und dem eigenen Unternehmen einzugestehen, dass existierende Kernkompetenzen und/oder Wettbewerbsvorteile ihre Bedeutung verloren haben und man sich neu erfinden muss. Schnelligkeit und Bestimmtheit in der Umsetzung von Änderungen ist von entscheidender Bedeutung. Die nationale und internationale Konkurrenz schläft nicht und gerade im digitalen Umfeld sind First-Mover-Vorteile von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

MBS Insights: Was haben Veränderungsbereitschaft und digitale Strategien gemeinsam?

Lennard Grewe: Die Gewissheit, dass a) es möglich ist, sich jeden Tag neu zu erfinden und b) Fortschritt immer auch mit Fehlern bzw. Misserfolgen verbunden ist – im Sinne von fail to learn.

MBS Insights: Welche Werkzeuge und Techniken gibt es, um die notwendige digitale Transformation zu steuern?

Michael Rüdiger: Um Transformationen zu steuern, müssen wir uns bewusst darüber sein, welche Geschäftsmodelle oder Prozesse schon in der freien Wirtschaft existieren oder welche sich in der Entstehung befinden. Dieses Wissen kann dann verwendet werden, um die Notwendigkeit für proaktives Handeln zu rechtfertigen. Proaktives Handeln kann darauf abzielen, mit führenden Unternehmen gleichzuziehen oder aber die vorher schon angesprochenen First-Mover-Vorteile zu sichern. In zahlreichen Gesprächen mit Unternehmen wird immer wieder deutlich, dass die meisten Unternehmen Initiativen in Bezug auf digitale Transformation und Industry 4.0 initiiert haben. Meist sind sie aber sehr unsicher, inwieweit sich diese Initiativen mit denen der Konkurrenz im In- oder Ausland vergleichen lassen und wieviel konkreter weiterer Handlungsbedarf wirklich besteht. Benchmarking und die Analyse von Use Cases sind hier von entscheidender Bedeutung. Hier sehe ich auch eine der Kernaufgaben von Hochschulen und Executive Education in der Zusammenarbeit mit Unternehmen, ihnen diese Informationen zur Verfügung zu stellen.

MBS Insights: Wie vermittelt man die digitale Vision an alle Beteiligten?

Michael Rüdiger: Ich bin fest davon überzeugt, dass den meisten Mitarbeiter*innen heute die Bedeutung einer proaktiven Antwort auf den digitalen Wandel bewusst ist. Digitalisierungsinitiativen müssen offen und ehrlich, mit allen Vor- und Nachteilen kommuniziert werden. In der Praxis hat sich gezeigt, dass es ein guter Ansatz ist, Mitarbeiter*innen, aber auch Kund*innen und Lieferant*innen über den aktuellen Stand der digitalen Vision oder der Digitalisierungsinitiativen zu informieren. Die Vermittlung sollte über mehrere Medien erfolgen. Natürlich können offizielle Dokumente per E-Mail versandt werden, es sollte aber auch Diskussionsrunden geben, in denen Stakeholder*innen Antworten auf ihre Fragen finden. Will man breite Unterstützung und Akzeptanz für eine neue digitale Vision erreichen, dann müssen Stakeholder*innen kontinuierlich informiert und in den Prozess mit eingebunden werden.

MBS Insights: Welche Unternehmen sind für Sie Best Practice Beispiele im Umgang mit digitaler Transformation und Innovation?

Lennard Grewe: Mir fallen hierbei vor allem mittelständische Unternehmen ein, die Digitalisierung weder verteufeln noch glorifizieren, sondern Wege beschreiten, auf denen die digitale Transformation positiv für Mitarbeiter*innen und Stakeholder*innen wirken kann.
Als Beispiel könnte man hier etwa Breuninger nennen: Vor ca. acht bis zehn Jahren noch ein stark auf den Verkauf fokussiertes Unternehmen, das mittlerweile die einzelnen Kund*innen in den Mittelpunkt stellt und nicht mehr in Kanälen denkt, sondern in Touchpoints, die im digitalen Kontext natürlich mannigfaltig ausfallen können. So gelingt es, die Kund*innen individuell abzuholen, obwohl sich das Geschäftsmodell nicht großartig geändert hat. Die Mitarbeiter*innen werden konstant geschult und zu den neuesten digitalen Entwicklungen abgeholt. Es wird viel getestet und somit viel Raum für die Erprobung neuer Ideen und Ansätze geschaffen – im Retail-Bereich (beispielsweise durch digitale Umkleiden) wie auch im Social-/Mobile-Bereich.


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