Studieren während des Kriegs: Wie es sich anfühlt, seine Abschlussarbeit von Kyiv aus zu schreiben

Alex, student of Munich Business School, in the basement during an air raid alert and some missile strikes and barricades in Kyiv

Der Krieg in der Ukraine gehört leider auch zur Realität der Munich Business School. Die MBS-Studierendenschaft ist international und viele ukrainische MBS-Studierende (und nicht nur diese) bangen aktuell aus der Ferne um ihre Familien, Freunde und Heimat oder erleben den Schrecken gar vor Ort selbst mit. Oleksiy (Alex) Levenko, Student im Master Innovation and Entrepreneurship, hat in den vergangenen Monaten seine Abschlussarbeit von Kyiv aus geschrieben und verteidigt. Im Blogartikel berichtet er von seinen Erfahrungen, während des Kriegs zu studieren.


Seien wir ehrlich, das Schreiben einer Abschussarbeit ist nicht die angenehmste Erfahrung ;-). Man muss Dutzende von Artikeln lesen, Tage und Nächte damit verbringen, Kapitel umzuschreiben, seine Erkenntnisse wissenschaftlich zu untermauern und Daten zu analysieren … wie wäre es, wenn wir all dies unter dem Lärm von Maschinengewehrfeuer und Luftangriffssirenen tun würden? Lasst mich euch ein paar neue Erfahrungen vermitteln. Googelt “ Fliegeralarm-Sirenengeräusch“, öffnet die Datei, erhöht die Lautstärke und lasst es im Hintergrund laufen, während ihr weiterlest (das ist selbstverständlich nicht das Gleiche, wie wenn man schreibt und die Geräusche im wirklichen Leben hört, aber es sollte euch zumindest einen Eindruck geben).

In der Endphase meiner Masterarbeit hatte ich also mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen: Luftangriffswarnungen alle zwei bis drei Stunden, sehr laute Flugabwehrsysteme und gelegentliches Maschinengewehrfeuer irgendwo in der Nähe, während ich wusste, dass die russischen Truppen ihre Stellungen 15-20 km von meinem Haus entfernt haben. Doch das ist nicht alles. Stellt euch außerdem sieben Familienmitglieder vor, die alle unterschiedlich ängstlich sind, darunter meine Großeltern, mein siebenjähriger Bruder und ein drei Monate alter Hund (ja, den habe ich erst eine Woche vor dem Krieg gekauft), und zwei Monate lang praktisch in einem Keller unseres Hauses (zum Glück beheizt und mit Strom) leben. Definitiv nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte.

A burnt tram in Kyiv

Warum ich mich dazu entschlossen habe, weiter an meiner Abschlussarbeit zu schreiben? Nun, ich hatte einen Abgabetermin. Natürlich hätte ich um eine Verlängerung bitten können, ich glaube nicht, dass sie mir verweigert worden wäre. Aber ich bitte nicht gerne darum und ich war mir nicht sicher, ob ich es danach noch schaffen würde. Wenn man weiß, dass die russischen Panzer die Städte rund um Kyiv bereits zerstört haben, wird einem klar, dass die Zeit sehr begrenzt sein könnte, und die begrenzte Zeit sollte effektiv genutzt werden. Der Masterabschluss bewahrt einen zwar nicht vor Kugeln, gibt einem aber zumindest das Gefühl, einen Meilenstein erreicht zu haben.

Das Erschreckendste ist nicht der Beschuss, die Bomben oder die Alarmsirenen selbst (schaltet sie schon aus, die sind nervig), das Erschreckendste ist, sich daran zu gewöhnen. Schon nach einigen Wochen habe ich die Videotelefonate mit meinem Betreuer Professor Weilage fortgeführt, bei denen wir uns über die Arbeit austauschten und uns im Stillen darüber freuten, dass München noch sicher ist und das Leben dort seinen gewohnten Gang geht. Erst habe ich um eine Pause gebeten, wenn ein neuer Luftangriffsalarm auf mein Telefon kam, aber dann mit der Zeit habe ich diese einfach ignoriert – ich bin ein Glückspilz, die Raketen sollten woanders landen (tut mir das nicht nach, der Fliegeralarm ist dazu da, Leben zu retten).

Nun ist meine Thesis fertig, ich bin offiziell graduiert, lebe noch und bin unversehrt! Was für eine Leistung! Ich habe schon viel eurer Zeit in Anspruch genommen, also lasst mich mit einem Ratschlag schließen: Verschiebt nichts auf morgen. Wenn ihr eine Karte für das Musikfestival kaufen wollet, von dem ihr schon immer geträumt habt, dann besorgt euch noch heute eine. Wenn ihr schon seit Jahren nach Rom reisen wollet, aber nie der richtige Zeitpunkt dafür war, kauft heute endlich die Tickets. Wirklich. Wir sind jung, wir werden genug Geld verdienen, um diese Ausgaben zu decken. Das Geld geht sowieso weg, während die Erfahrungen bleiben. Viel Glück!

Mit den besten Wünschen aus Kyiv,

Alex