Wie Ihnen eine wichtige Fähigkeit von Profisportlern auch im Geschäftsleben helfen kann (Teil 1)

MBS Self-Reflection

Mit über 359 Milliarden US-Dollar jährlich geben Unternehmen eine exorbitante Summe für die Weiterbildung und Motivation ihrer Mitarbeiter aus. Dies entspricht knapp 1 % der Jahresumsätze. Die meisten Ausgaben entfallen jedoch auf fachliche Qualifikationen und Kompetenzentwicklung, und abgesehen von jährlichen oder halbjährlichen Mitarbeiterbewertungen geben nur wenige Firmen ihren Angestellten die Möglichkeit, sich selbst weiterzuentwickeln.

Eine oft ungenutzte Erkenntnisquelle, um ein Unternehmen besser zu machen, ist in bestimmten Fähigkeiten von Profisportlern zu finden.

Selbstreflexion – eine Fähigkeit, die über Sieg oder Niederlage entscheidet

Ein legendäres Tennis-Match liefert uns ein sehr gutes Beispiel für eine solche Eigenschaft, nämlich die Selbstreflexion. Im Wimbledon-Halbfinale 2011 trafen Patrick Rafter und Andre Agassi aufeinander, der Druck war für beide Spieler enorm. Was dieses Match so besonders machte, war nicht nur die Tatsache, dass Rafter im letzten Satz mit 8:6 gewann. Vielmehr waren es die radikalen Wechsel der Spieldynamik durch beide Spieler, die als Folge der gegnerischen Dominanz immer wieder ihre Taktik änderten.

Während die ganze Welt auf Rafter und Agassi schaute, lieferten uns diese beiden Champions ein Paradebeispiel für die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und sich immer wieder der Situation anzupassen.

Als Reaktion auf Rafters Überlegenheit im ersten Satz setzte Agassi alles daran, seinen Return beim zweiten Aufschlag zu verbessern und dadurch sicherzustellen, dass Rafter nach dem Spurt ans Netz einen schwierigen, tiefen Volley spielen musste. Dies führte entweder zu einem direkten Fehler Rafters oder ermöglichte es Agassi, einen einfachen Konterschlag zu spielen. Rafter, als Serve-and-Volley-Spieler bekannt, spielte den Satz wie gewohnt weiter, in der Hoffnung, die Kontrolle über das Spiel zurückerobern zu können.

Im folgenden Satz, mit einem Agassi in Hochform, ging Rafter dann nicht mehr nach jedem Aufschlag ans Netz, sondern erwartete den Return an der Grundlinie und ging erst nach dem zweiten oder dritten Schlag ans Netz. Dies brachte Agassi – einen der besten Return-Spieler aller Zeiten – aus dem Rhythmus, und Rafter gewann wieder die Oberhand. Nachdem Rafter die Kontrolle zurückgewonnen hatte, indem er mal ans Netz ging und mal nicht, änderte Agassi als Reaktion auf den Strategiewechsel seines Gegners erneut seine Taktik: Er spielte jetzt Slices und verlangsamte dadurch das Spiel; die Bälle sprangen flach ab und machten es schwer für Rafter, mit einem gezielten Schlag einen Netzangriff vorzubereiten.

Und so ging es immer weiter, bis Rafter schließlich eines der besten und spannendsten Matches aller Zeiten als Sieger beendete.

Was dieses Match so unvergesslich macht (zumindest für mich), war die unglaublich beeindruckende Fähigkeit beider Spieler, sich im Spiel die Zeit zu nehmen, über sich selbst zu reflektieren und rational zu beurteilen, was gut lief; zu erkennen, wo ihre Stärken lagen, eine neue Strategie zu entwickeln und dann in der Lage zu sein, diese neue Strategie unter Druck umzusetzen – auch wenn ihr natürlicher Instinkt vielleicht anders entschieden hätte.

Die Definition von Dummheit?

Es heißt, Dummheit sei, immer wieder das Gleiche zu tun, aber andere Ergebnisse zu erwarten. Dies stimmt nur zur Hälfte. Um besser in einer Sache zu werden, muss man diese oft bewusst üben (laut einer vor allem durch Malcolm Gladwell verbreiteten Theorie von Anders Ericsson braucht man 10.000 Stunden, um etwas zu beherrschen). Dieselbe Sache immer und immer wieder (mit Qualität) auszuführen, spielt also zweifellos eine Rolle dabei, besser in etwas zu werden. Ein anderer Aspekt, um kurz- oder langfristig besser zu werden, ist jedoch, darüber zu reflektieren, wie man sich verbessern könnte, und Dinge eventuell auch anders zu machen, obwohl die Situation die gleiche ist.

Diese rationale Selbstwahrnehmung ist eine Eigenschaft, die uns Menschen von den Tieren unterscheidet und die im Frontallappen des Gehirns lokalisiert ist. Die Selbstreflexion ist demnach ein Produkt der Selbstwahrnehmung. Im Oxford Dictionary wird Selbstreflexion bzw. self-reflection definiert als das bewusste Betrachten oder Nachdenken über die eigenen Eigenschaften, Handlungen und Motive. Sie umfasst die bewusste Wahrnehmung davon, in welche Richtung wir uns bewegen, damit wir uns später nicht weit entfernt vom eigentlichen Ziel wiederfinden. Sie verleiht uns als selbstreflektierendem Individuum oder Team auch die Fähigkeit, Leistungen und (im besten Fall) Ergebnisse auf kurze oder lange Sicht zu verbessern. Sie kann der entscheidende Unterschied zwischen Zielsetzung und Zielerreichung sein, da wir uns nur verbessern können, wenn wir diese Diskrepanz durch Selbstreflexion erkennen.

„Follow effective action with quiet reflection, from the quiet reflection will come even more effective action.“ – Peter Drucker

Eine der wichtigsten Fähigkeiten für einen Profisportler und gleichzeitig Grundlage für Weiterentwicklung ist die Fähigkeit, über die eigene Leistung reflektieren zu können. Meiner Erfahrung nach ist diese Bereitschaft und Fähigkeit zur rationalen Selbstreflexion im beruflichen Kontext in der Geschäftswelt weit weniger verbreitet und ausgeprägt. Man bedenke, dass ein Fußballspieler in der Regel Woche für Woche nach dem Spiel einen detaillierten Bericht über seine Leistung erhält, sowohl mit objektiven Statistiken als auch mit eher subjektiven Leistungsbewertungen (z.B. Feedback des Trainers auf Grundlage seines persönlichen Eindrucks). Der Sportler oder Spieler wird außerdem nach seiner Selbsteinschätzung gefragt, wie er sich geschlagen hat, was er hätte anders machen können und was dafür zu tun sei. Schon von klein auf wird Nachwuchssportlern und -spielern antrainiert, nach jedem Spiel (manchmal nach jeder Trainingseinheit) über ihre Leistung zu nachzudenken, bis es irgendwann in Fleisch und Blut übergeht, sich selbst zu reflektieren, Verbesserungspotenziale zu erkennen und diese Erkenntnisse dann in die Tat umzusetzen. Diese Fähigkeit ist der Grund dafür, dass Sportler oft auch nach ihrer sportlichen Karriere sehr erfolgreich darin sind, die eigene Leistung oder die eines Teams zu steuern.

Es muss nicht weiter erläutert werden, welche Bedeutung die Selbstreflexion für Sportler hat. Wie Sie sich die Selbstreflexion im geschäftlichen Umfeld zunutze machen können – das lesen Sie hier im zweiten Teil.

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Über Prof. Dr. Todd Davey 10 Artikel
Prof. Dr. Todd Davey ist leidenschaftlicher Forscher, Referent und anerkannter Experte zu den Themen Unternehmertum und Zusammenarbeit von Universitäten mit Unternehmen (UBC). Nach einer Karriere als professioneller Australian-Football-Profi war er bis 2007 Senior Manager bei Deloitte Australia und besetzte die Position des Strategy & Business Development Managers bei Chimo, einem der am schnellsten wachsenden Start-ups Australiens, das 2005 von Deloitte übernommen wurde. Er absolvierte seinen Master in International Management an der Hochschule Münster und promovierte an der Vrije University in Amsterdam mit dem Schwerpunkt "Entrepreneurship at Universities". Er ist außerdem Director of Strategy beim University Industry Innovation Network (UIIN) und Leiter der größten europäischen Studie über die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen für die Europäische Kommission. Zuvor war er als Marketing Director für einen Australian-Football-Team der zweiten australischen Liga tätig sowie in den Bereichen Innovationsforschung und Beratung für den Adelaide Football Club, das Pacific Islanders Rugby Team, Fortuna Düsseldorf, die AFL Europe und Berlin Thunder.