Forschungsreise „Innovation & Entrepreneurship“ nach Boston

MBS Heiko Seif Boston

Im Rahmen der Zusammenarbeit der MBS mit dem Fraunhofer-Institut habe ich im Frühjahr 2017 an einer Forschungsreise nach Boston teilgenommen, die von der German American Chamber of Commerce organisiert wurde. Ziel der Reise war es, die aktuellen Erfolgsfaktoren der Entrepreneurship-Ansätze im amerikanischen Wirtschaftssystem zu identifizieren und das Forschungsnetzwerk auszubauen. Insbesondere Internationalisierung und Digitalisierung/Technologie werden in der Forschung derzeit als entscheidende Gestaltungsfelder im Themenkomplex Entrepreneurship erklärt (vgl. Schwens, C., Zapkau, F. B., Bierwerth, M., Isidor, R., Knight, G., & Kabst, R. (2017). International Entrepreneurship: A Meta‐Analysis on the Internationalization and Performance Relationship. Entrepreneurship Theory and Practice.).

Um aktuelle Erfolgsfaktoren der Entrepreneurship-Ansätze des amerikanischen Wirtschaftssystems zu identifizieren, habe ich an fünf Veranstaltungen zum Themenbereich „Innovation & Entrepreneurship“ teilgenommen und dabei fünf Venture-Capital-Unternehmen und fünf erfolgreiche Start-ups besucht. Im weitesten Sinne konnte ich somit eine Feldforschung mit selektierten Akteuren aus dem Bereich Entrepreneurship durchführen. Als Methode wurde die passive teilnehmende Beobachtung gewählt. Dabei nimmt der Beobachter am Ablauf des Geschehens (Konferenzen, Gespräche, Besuche) teil, ohne aktiv einzugreifen, seine Rolle ist zurückhaltend, eher wie die eines Besuchers; seine Beobachtungen hält er fest (vgl. Lüders, C. (2008). 5.5 Beobachten im Feld und Ethnographie. Qualitative Forschung. Ein Handbuch, 384-401).

Beobachtung 1: Innovationskultur & Innovationsinfrastruktur

Boston gilt als einer der führendenden Innovation Hotspots weltweit. Mit der Harvard University, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), dem Boston Innovation District und nicht zuletzt unserer Partnerhochschule Boston University sowie vielen technologiebasierten Weltmarktführern existiert dort ein einzigartiges Eco-System, in dem sich die Akteure gegenseitig befruchten und das immer wieder mit disruptiven Innovationen aufwarten kann. Es besteht eine vitale Innovation Community, die sich Innovation zum Tagesgeschäft gemacht hat. Täglich finden mehrere Events im Bereich Innovation & Entrepreneurship statt und selbst die Bürger der Stadt Boston nehmen aktiv daran teil. Aktuelle Events werden hier veröffentlicht.

Ein wichtiger Teil der Innovationskultur ist das Networking. Als Währung werden Kontakte und Netzwerke eingebracht, man spricht von der sogenannten „Relationship Equity“. Deshalb umgeben sich erfolgreiche Unternehmer mit interessanten Persönlichkeiten. Dabei wird immer wieder die Fähigkeit von Entrepreneuren, gut mit anderen Menschen umgehen zu können, als sehr wichtig genannt. Insbesondere die gegenseitige Hilfsbereitschaft, die eine Geschäftsidee häufig ergänzen kann, führt zum Vorankommen von Ventures durch neue Kontakte und Know-how. Selbst in der Beziehung zwischen Investoren und Unternehmen spielt dies eine wichtige Rolle. Entrepreneure stellen häufig die Frage: „Was machen Sie als Investor, wenn es dem Start-up mal nicht so gut geht?“.

Insgesamt entsteht in Boston der Eindruck einer fortwährenden Aufbruchsstimmung von Tüftlern und Entdeckern, die ganz in der Tradition von Christoph Kolumbus nach immer Neuem Ausschau halten.

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Blick auf die Skyline von Boston vom Innovation District aus.

Beobachtung 2: Fokus auf Speed

Der Faktor Zeit wird als schlimmster Feind angesehen. Wer Zeit verliert, verliert den Wettbewerb. Bootstrapping ist heutzutage keine Option mehr. Im Spannungsfeld des magischen Dreiecks von Zeit, Kosten und Qualität spielt Zeit die wichtigste Rolle. Für richtig erfolgreiche Ventures war rückblickend betrachtet Kapital als Ressource nicht der Engpass. Qualität im Sinne von 100 % Funktionalität als Kontrollpunkt vor einem Markteintritt ist im amerikanischen Ansatz verworfen worden, weil man dadurch erstens Kundenfeedback aus dem Markt zu spät bekommt und zweitens den Wettbewerb im Markt gegen die Schnellen verliert. Aus deutscher Perspektive lässt sich sagen: Speed vor Perfektionismus. Optimierungen an Produkten und Services geschehen erst nach der Markteinführung, häufig in Zusammenarbeit mit Kunden (vgl. Wenzel, F. (2017). Sustainable Digital Business: Crucial Success Factor for Small and Medium-Sized Enterprises and Start-Ups. In: Sustainability in a Digital World (pp. 131-143). Springer International Publishing).

Beobachtung 3: Große Probleme lösen

Als Start-up ist es wichtig, eine eigene Vision zu verfolgen und nicht von Kunden eng formulierte Anforderungen diktiert zu bekommen. Das schränkt den Lösungsraum ein. Ein Muster, das bei allen erfolgreichen Start-ups wiederkehrt, ist der enorme Glaube an das Funktionieren einer großartigen Geschäftsidee, verbunden mit einem unbändigen Willen, das dahinterliegende Konzept zu realisieren. Das geht einher mit der Persönlichkeitsentwicklung von Entrepreneuren, deren Erfolg sie zu charismatischen Persönlichkeiten macht (vgl. Gerpott, F. H., & Kieser, A. (2017). It’s not charisma that makes extraordinarily successful entrepreneurs, but extraordinary success that makes entrepreneurs charismatic. Managementforschung, 1-20.). Entrepreneure müssen aber auch erkennen, wann es Zeit ist aufzugeben.

Gewachsene Unternehmerpersönlichkeiten folgen häufig dem Pfad Learn – Earn – Return. Gemeint ist damit:

  • Learn: das Lernen durch Erfolge und vor allem Misserfolge,
  • Earn: der Durchbruch zum Markterfolg und
  • Return: das Zurückgeben in Form von Erfahrungen, Netzwerken und Investments.

Ein aktuell starker Trend in der US-amerikanischen Szene ist das Impact Investment, ein Engagement in Ventures, die es sich zum Ziel gemacht haben, „Painkiller“ für die Menschheit hervorzubringen und die wirklich großen Probleme zu lösen. Ein Beispiel ist die Sharing Economy, bei der auf Ressourcenschonung und optimale Ausnutzung von vorhandenen Kapazitäten gesetzt wird (vgl. Chase, R. (2015). Peers Inc: How people and platforms are inventing the collaborative economy and reinventing capitalism. PublicAffairs.).

Beobachtung 4: Umgang mit Risiken

Als Entrepreneur-Team benötigt man nur einen „Home Run“. Ein kritischer Aspekt ist dabei der Umgang mit Risiken. Erfolgreiche Entrepreneure antizipieren und kalkulieren Risiken – und gehen diese dann auch bewusst ein, auf der Suche nach der am leichtesten zu realisierenden Option. Weniger erfolgreiche Unternehmer sind zu zögerlich und verlieren dadurch Zeit oder setzen auf Risikovermeidung, was eine Lähmung des Start-ups zur Folge hat.

Aus Sicht von Investoren wird im amerikanischen Tech-Venture-System davon ausgegangen, das aus einer Grundgesamtheit von Investments ein sehr geringer Teil sehr erfolgreich sein wird (so genannte Unicorns), ein mittelgroßer Teil wirtschaftlich selbständig fortbestehen kann und ein großer Teil insolvent geht. Mit diesem Ansatz wird jedoch das Unternehmertum gefördert, da eine breite Grundgesamtheit die Chance bekommt, ein Unternehmen aufzubauen (vgl. Guo, L., Wei, S. Y., Sharma, R., & Rong, K. (2017). Investigating e-business models’ value retention for start-ups: The moderating role of venture capital investment intensity. International Journal of Production Economics, 186, 33-45.).

Beobachtung 5: Teaming und Skills

Für technologiebasierte Start-ups wird in der Frage, ob es eher auf das Team oder auf das Produkt bzw. die Geschäftsidee ankommt, von amerikanischen Venture Capitalists klar Stellung bezogen: „Great teams first, they will create great products and services“, sagt Wayne Chang. Das hat Auswirkungen auf das Recruiting: Für gute Mitarbeiter werden selbst bei Start-ups durchschnittlich 25 % des Jahreseinkommens der zu besetzenden Stelle als Vermittlungsprovision angesetzt. Der größte Engpass entsteht derzeit bei Software-Ingenieuren.

Bei technologiebasierten Start-ups setzen Investoren den Fokus auf das Teaming: Man zielt auf drei Führungspersönlichkeiten ab, jeweils eine in den Bereichen Technologie, Geschäftsmodellentwicklung und Design. Bei den Softskills ist insbesondere die Überzeugungskraft der Personen von entscheidender Bedeutung. Zur Weiterentwicklung von Start-ups gibt es die Investment-Position des Bonding/Teambuilding. Gängige Größenordnungen solcher Fördermaßnahmen liegen bei bis zu 100.000 USD für Teambuilding-Events/Partys mit anschließend erhofftem Motivations- und Werbeeffekt für ein Start-up (Expert Interview of Wayne Chang, (born August 3, 1983), Chinese-American entrepreneur, angel investor, film producer, and philanthropist, From the Ground Up: A Conversation on How to Build World-Class Startups with Serial Entrepreneur Wayne Chang (Napster, Dropbox, Crashlytics, Twitter), Harvard University, Boston, 28.3.2017).

Beobachtung 6: Technologie als Mittel zum Zweck

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Ein vierbeiniger Roboter, vorgestellt vom Start-up Boston Dynamics.

Bei der Bewertung technischer Eigenschaften von Produkten versuchen die Investoren herauszufinden, was die sogenannten „Core Assets“ des Start-ups sind. In Eco-Systemen, die mehr und mehr von Partnerschaften geprägt sind, stellt sich dabei insbesondere die Frage: Was bleibt für das Start-up, wenn alle Partner wegfallen?

Start-ups im Bereich IoT/Industrie 4.0 werden als Unternehmen mit immenser Zukunftsperspektive gesehen. B2C-Plattformmodelle wie AirBnB und Uber werden für viele B2B-Märkte entstehen. Der größte Impact entsteht durch vernetzte Kommunikation von Maschinen und Anlagen (vgl. Jeschke, S., Brecher, C., Meisen, T., Özdemir, D., & Eschert, T. (2017). Industrial Internet of Things and Cyber Manufacturing Systems. In Industrial Internet of Things (pp. 3-19). Springer International Publishing).

Technologie wird als Mittel zum Zweck gesehen. In erster Linie geht es den amerikanischen Machern darum, bedeutsame Probleme zu beschreiben und dann geeignete technische Lösungen zu suchen, die dabei helfen können, diese Probleme zu lösen. Nicht selten kommen technische Lösungen aus ingenieursgetriebenen Wirtschaftssystemen wie Japan oder Deutschland. Forschungsinstitute wie das Fraunhofer-Institut, das vor der Haustür liegende MIT oder das Tōkyō Kōgyō Daigaku (Tokyo Institute of Technology) sind dabei die häufigsten Quellen (vgl. Knudsen, M. P., Tranekjer, T. L., & Cantner, U. (2017). Open Innovation in an International Perspective: How to Organize for (Radical) Product Innovation. In Revolution of Innovation Management (pp. 15-40). Palgrave Macmillan UK.).

Die aktuellen Erfolgsfaktoren der Entrepreneurship-Ansätze im amerikanischen Wirtschaftssystem konnte ich mit der Forschungsreise in Form von Annahmen benennen. Zwar bekamen meine Forscherkollegen und ich einen tiefen Einblick in das Entrepreneurship-Umfeld eines führenden Innovation Hotspots, die geschilderten Beobachtungen reflektieren jedoch nur einen regionalen Ausschnitt der amerikanischen Entrepreneurship-Szene. Insbesondere ein weiterer wichtiger Innovation Hotspot der USA, nämlich die Region um das Silicon Valley, wurde nur am Rande beleuchtet.

Damit haben sich aus der Forschungsreise einige Untersuchungsgegenstände für das MBS-Forschungsfeld „Innovation & Entrepreneurship“ ergeben, wovon einige in den Forschungsplan aufgenommen wurden. Insbesondere das Forschungsthema rund um das Internet der Dinge und Dienste/ Industrie 4.0 wird im Rahmen des Forschungsprojektes INLUMIA weiterführend bearbeitet. Erste deutsche Startups in diesem Bereich sind bereits aus Forschungsprojekten heraus entstanden, zum Beispiel das Berliner Startup R3Coms.

Elemente der Forschungsreise

Konferenzen:

 

  • TechStars EdTech Kick-Off, Higher Education Learning in a Digital Age, Mc Graw Hill Education, Boston Innovation District, 27.03.2017
  • From the Ground Up: A Conversation on How to Build World-Class Startups with Serial Entrepreneur Wayne Chang (Crashlytics, Twitter), Harvard University, Boston, 28.03.2017
  • Venture Café at Kendall in Session: Innovations in HighTech Start-ups, MIT Boston, 29.03.2017
  • Massachusetts Innovation and Technology Exchange, MITx Design Tech Summit 2017, Boston Innovation District, 30.03.2017
  • Mass Challenge, The Future of Manufacturing, Boston Innovation District, 31.03.2017
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Prof. Dr. Heiko Seif auf dem MITx Designtech Summit 2017.

Start-ups:

  • GITA: Selbstfahrender Lieferroboter
  • Mc Graw Hill Education: Digitael Bildungsplattform
  • Boston Dynamics: Humanoid-Roboter und Künstliche Intelligenz
  • ZipCar: Carsharing Anbieter
  • BiOM: Medizitechnik
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Jugendliche bauen einen Roboter bei Google.

Venture Capitalists:

  • Openview Venture Partners – Boston
  • Polaris Venture Partners – Waltham
  • Charles River Ventures – Cambridge
  • Volition Capital – Boston
  • New Atlantic Ventures – Cambridge
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Über Prof. Dr. Heiko Seif 23 Artikel
Prof. Dr. Heiko Seif, PhD. studierte Ingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie und promovierte an den Universitäten Stuttgart und Preßburg mit einer Arbeit über die Internationalisierung osteuropäischer Unternehmen im Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Parallel zu seiner 4-jährigen Promotion arbeitete er als Berater bei der Con Moto Consulting Group bevor er zur BMW Group wechselte. Nach seiner Tätigkeit gründete er die Technologieberatung CNX Consulting und anschließend die Innovationsgenossenschaft INGO e.G. Darüber hinaus war er mehrere Jahre an der Ludwig-Maximilians-Universität verantwortlich für das TOP-BWL-Programm der Jahrgangsbesten in Zusammenarbeit mit Professor Picot. Prof. Dr. Heiko Seif ist Senior Manager bei der Managementberatung UNITY AG.