Mangelhaftes Business Training, irreführendes Berechnungsmodell, Vetternwirtschaft – oder einfach: Wo ist mein DHL-Paket?

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Ich habe an mehreren Universitäten studiert. Und ich war immer leicht beunruhigt darüber, dass viele Studienbereiche den Studierenden gewisse Grundlagen nicht vermitteln: Etwa, welche Auswirkungen strategische Veränderungen haben können. Stattdessen lässt man die Studenten Case Studies durchführen.

Mithilfe eines vereinfachten aktuellen Beispiels kann ich Ihnen am besten darstellen, was ich meine: (Ziel soll es hier nicht sein, alle damit einhergehenden Probleme zu behandeln, sondern eine Managemententscheidung zu Lernzwecken zu vereinfachen).

Die DHL hat sich entschieden, Sendungen künftig termingerechter zuzustellen. Das klingt erst einmal gut: Wenn man der Öffentlichkeit etwas über planmäßige Zustellungen erzählen kann, ist das eine tolle Marketing-Story und sollte auch die Kundenzufriedenheit verbessern. Allerdings entschied man sich bei der DHL so: Die Zusteller wurden angewiesen, dass sie neue Sendungen jetzt zuerst zustellen müssen – anstatt „alte“ Sendungen zu priorisieren. Das soll insgesamt für eine deutlich termingerechtere Zustellung sorgen.

Dadurch hat sich für die Zusteller einiges geändert: Sie müssen durchschnittlich 193 Sendungen täglich zustellen (Focus.de berichtete, dass der Schnitt zwischen 100 und 200 Sendungen pro 5- oder 6-Stunden-Schicht liegt). Jetzt, wo sie die neuen Sendungen zuerst zustellen müssen, was passiert da mit den Sendungen, die nicht zum vorgesehenen Datum zugestellt wurden (wegen Krankheit, zu vielen Sendungen an einem Tag, fehlender Motivation zu Überstunden oder was auch immer)? Richtig: Diese Sendungen müssen warten, bis an einem Tag mal wenig los ist. Denn da sie nicht termingerecht zugestellt wurden, werden sie ohnehin nicht in die DHL-interne Berechnung einbezogen.

Als Kunde (und auch die Online-Händler werden folgen) fragt man sich nun, ob so ein ruhiger Tag irgendwann auch mal kommen wird – und wie viel Ärger man bis dahin ertragen muss. Man sollte jetzt noch mehr um ein gutes Verhältnis zu seinem Zusteller bemüht sein; ein kleines Geschenk zu Weihnachten kann auch nicht schaden (übrigens: in der Vorweihnachtszeit erhöht sich die Zahl der Sendungen um 50 bis 70 Prozent pro Schicht).

Grundsätzlich befolgen Mitarbeiter „an der Front“ neue Vorgaben von oben. Oft kommt dabei aber genau das heraus, was das Management nicht wollte. Steven Kerr hat sich bereits 1975 im „Academy of Management Journal“ damit befasst! Das Tolle daran ist, wie bereits oben angedeutet, dass das an Universitäten nur selten zur Sprache kommt. Und es scheint so, dass auf Management spezialisierte Unternehmensberatungen es ebenfalls nicht verstehen – trotz all ihrer Bemühungen, Wissensmanagementsysteme aufzubauen. Das ist nur ein Grund, warum Steven Kerr’s Beitrag in meinen Seminaren zum Thema „Management of Organizations“ Pflichtlektüre ist. Als Dozent wäre es für mich beschämend, wenn einer meiner Studierenden später einmal ein neues Berechnungsmodell einführt und dabei die Reaktion der Mitarbeiter „an der Front“ nicht bedenkt.

Wie konnte das alles in einem Unternehmen wie der DHL passieren? Wurden die „Front-Mitarbeiter“, die ihre Arbeit besser kennen als alle anderen, vor der strategischen Veränderung nicht befragt? Liegt die Antwort im Managementdenken selbst? Liegt es an der guten alten Vetternwirtschaft ehemaliger McKinsey-Berater, wie auf manchen Webseiten zu lesen ist (zwischen McKinsey und der DHL gibt es anscheinend enge Verbindungen; der CEO und einige andere Vorstandsmitglieder waren zuvor Berater bei McKinsey). Oder liegt es an dem, was Unternehmensberatungen – wie es schon Steven Kerr angedeutet hat – wirklich wollen: mehr Stunden abrechnen. Berater wollen nicht, dass derjenige, der sie gerufen hat, schlecht aussieht; denn dann müssen sie befürchten, ihren Beratungsauftrag zu verlieren. Daher tragen sie viele schlechte Entscheidungen mit (wenn Sie nach einem krassen Beispiel suchen, googeln Sie doch mal nach „Arthur Anderson“ und „Enron“). Oder liegt das Problem einfach nur in der praktischen Umsetzung?

An dieser Stelle muss ich klarstellen, dass ich die Problematik vereinfacht dargestellt habe; aufgrund der Aktualität des Vorgangs gibt es nur wenige Quellen. Aber bei einem bleibe ich: Mit funktionierender Feedbackschleife, soliden betriebswirtschaftlichen Grundlagen und stabiler Führung hätte eine solche strategische Veränderung nicht stattgefunden. Jeder macht Fehler, keine Frage. Aber wenn niemand stark oder angstfrei genug ist, laut aufzuschreien oder Fehler zu identifizieren, bevor eine neue Berechnung eingeführt wird – dann läuft etwas falsch.

Wenn junge Menschen sich für das MBA-Programm einschreiben wollen, versuche ich ihnen deutlich zu machen, wie wichtig betriebswirtschaftliche Grundlagen, Ethik und Praxisbezug an der Munich Business School sind. Im oben behandelten Fall sieht man deutlich Fehlentscheidungen. Wir arbeiten daran, dass unsere Absolventen solche Fehlentscheidungen nicht begehen.

Immerhin wissen Sie jetzt, warum Ihr DHL-Paket nicht termingerecht ankommt: Es liegt am neuen Berechnungsmodell. Bis dahin, lernen Sie Management-Grundlagen. Es ist nie zu spät.

Christopher Weilage Portrait
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Christopher Weilage, Professor für Betriebswirtschaft und Business Communication, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themen International Business und Kommunikation. Weilage absolvierte seinen MBA International Business an der Moore School of Business der University of South Carolina, USA und anschließend den IMBA International Business an der Helsinki School of Economics and Business in Finnland. Am Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache der LMU München promovierte der gebürtige US-Amerikaner zum Thema E-Learning.