Unternehmertum 2.0: Die Zukunft der Unternehmensgründung

Einführung

Immer wieder fordern politische Entscheidungsträger: Es muss mehr Kapital für Existenzgründer bereitgestellt werden. Die Wahrheit aber ist: Es wird niemals ausreichend Kapital geben, um die Hoffnungen aller Gründer zu erfüllen.

Kapitalgeber müssen ihr Geld rationieren. Sie schlagen wenig Erfolg versprechende Investments aus oder unterstützen Start-ups nur dann, wenn ihre Kredite durch Dritte gut abgesichert sind – beispielsweise durch eine Regierung. Nur sehr wenige Unternehmungen, die mit Risikokapital gegründet werden, haben Erfolg; und dementsprechend auch nur sehr wenige Risikokapitalgeber. Daher sind letztere sehr vorsichtig und investieren in erster Linie erst dann, wenn ein Unternehmen bereits in die Erfolgsspur gefunden hat.

Unternehmertum 1.0

Unternehmertum 1.0 bedeutet: möglichst viel Kapital zu sammeln, um zu wachsen. Unternehmertum 1.0 beschäftigt sich mit finanziellen Engpässen und der Herausforderung, dieser Knappheit mit neuen Finanzierungsstrategien und neuen Kreditinstitutionen zu begegnen. So soll Existenzgründern geholfen werden, an Kapital zu kommen. Viele scheitern jedoch; und selbst diejenigen, die einen Kredit verdient hätten, werden meist abgewiesen.

Sie haben sicher schon einmal gehört, dass (Apple-Gründer, Anm. d. Red.) Steve Jobs von mehr als zwölf Risikokapitalgebern abgelehnt wurde. Nicht viel anders erging es den Google-Gründern. Man fragt sich, warum sogar Existenzgründer mit solch großem Potential bei so vielen Risikokapitalgebern erfolglos waren:

• Haben die Risikokapitalgeber nicht investiert, weil ihr Geld knapp war?

• Konnten sie nicht investieren, weil viele Existenzgründer gar nicht wissen, wie sie überhaupt an Kapital kommen? Wenn man es denn zu beschaffen weiß, kann Kapital dem ein oder anderen Existenzgründer helfen – so ist es oft geschehen. Doch die meisten bekommen kein Risikokapital; ganz egal, wie gut sie darin sind, es zu beschaffen. Ihre Unternehmungen werden einfach als nicht profitabel genug angesehen.

• Haben sie nicht investiert, weil sie nicht in die Zukunft blicken können? Weil sie potenzielle „Gewinner“ erst dann erkennen, wenn diese bereits in der Erfolgsspur sind? Absolut!

Steve Jobs sowie die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin hatten das Glück, im Silicon Valley zu sein. Dort warten Risikokapitalgeber hinter jeder Ecke, um sich auf die nächste vielversprechende Unternehmung zu stürzen. Und sogenannte „Business Angels“ beknien dort vollkommen Fremde, ihre nächste Unternehmung finanzieren zu dürfen.

Unternehmertum 2.0

Beim Unternehmertum 2.0 geht es darum, möglichst hohes Wachstum pro investiertem Dollar zu erzielen. Und zwar deshalb, weil es nie ausreichend Kapital geben wird, um alle Existenzgründer zufriedenzustellen. Das gilt besonders außerhalb des Silicon Valley.

Sie werden jetzt vielleicht sagen: Das kann so nicht funktionieren! Dann antworte ich Ihnen: Es hat so schon funktioniert. Doch bei all dem Getöse um die Risikokapitalgeber im Silicon Valley wird die Tatsache verschwiegen, dass viele heute milliardenschwere Existenzgründer ohne Risikokapital riesige Unternehmen geschaffen haben. Unternehmer wie Sam Walton und Michael Dell (Gründer der Supermarktkette Wal-Mart bzw. des PC-Herstellers Dell, Anm. d. Red.) sind ohne Risikokapital groß geworden. Genauso ist es bei Unternehmen wie Zara oder Under Armor. Und nicht zuletzt gelang auch Mark Zuckerberg der Durchbruch ohne Risikokapital; heute stehen die Geldgeber Schlange, um ihm ihr Geld geben zu dürfen.

76 Prozent aller inzwischen milliardenschwerer Existenzgründer in den USA – und 91 Prozent außerhalb des Silicon Valley – haben kein Risikokapital beansprucht. Und sogar im Silicon Valley zögerten die meisten von ihnen, sich Risikokapital zu beschaffen. So behielten sie die Kontrolle über ihre Vermögen.

Unternehmertum 2.0 zeigt Existenzgründern, wie die genannten milliardenschweren Unternehmer ihr Kapital effizient eingesetzt haben, um trotz knapper finanzieller Mittel zu wachsen. Unternehmertum 2.0 ist notwendig, und zwar aus folgenden Gründen:

• 99,95 Prozent aller Start-ups erhalten kein Risikokapital, und 99,997 Prozent sollten auch keines bekommen [1].
• Risikokapital war vor allem im Silicon Valley erfolgreich. Und zwar hauptsächlich dann, wenn erfolgsversprechende Branchen gerade neu entstanden. Andernorts und zu anderen Zeiten ist die Erfolgsbilanz von Risikokapital mittelmäßig.
• Nur wenige Risikokapitalgeber haben Erfolg. Bei etwa 80 Prozent ihrer Investments liegen sie daneben, und nur 1 Prozent erweist sich als Volltreffer. Geldgeber, die solche Volltreffer landen, leben gut: 4 Prozent von ihnen erzielen 66 Prozent aller Erträge bei Börsengängen. 98 bis 100 Prozent davon sitzen im Silicon Valley.
• Viele Existenzgründer bekommen von den gerade genannten Risikokapitalgebern kein Risikokapital. Denn Risikokapitalgeber sind extrem wählerisch. Sie finanzieren nur etwa 0,1 Prozent aller Unternehmungen – und zu 98 Prozent erst dann, wenn ein Start-up bereits erfolgreich ist.
• Existenzgründer, die nach dem Durchbruch ihres Unternehmens Risikokapital bekamen, haben weiterhin die Kontrolle über ihr Unternehmen. Außerdem sind sie in stärkerem Maße im Besitz ihres erwirtschafteten Vermögens geblieben. Von den milliardenschweren Existenzgründern haben diejenigen, die ohne Risikokapital arbeiteten, 52 Prozent ihres Vermögens behalten. Bei denen, die die Aufnahme von Risikokapital hinauszögerten, waren es 16 Prozent. Und diejenigen, die früh Risikokapital erhielten und dadurch Kontrolle und Führerschaft verloren: haben lediglich 7 Prozent ihres Vermögens behalten.

Existenzgründer können von Unternehmertum 2.0 profitieren, um die Kontrolle über ihr Unternehmen und das erwirtschaftete Kapital zu bewahren.

Unternehmerische Innovation 6.0

Bisher gab es 5 Wellen unternehmerischer Innovation. Jede von ihnen hatte Vor- und Nachteile. Die Strategien von Unternehmertum 2.0 könnten die sechste Welle sein – und Entscheidungsträgern dabei helfen, Produkte mit hohem Potenzial bei geringem Risiko zu entwickeln.

Zusammenfassung

Basierend auf Befragungen millionen- und milliardenschwerer Unternehmer und der Analyse der Ergebnisse habe ich erörtert, warum Existenzgründer und unternehmerische Innovatoren kapitaleffizient denken müssen. Unternehmertum 1.0 dreht sich darum, mehr Kapital für Wachstum zu beschaffen. Beim Unternehmertum 2.0 wird es darum gehen, mehr Wachstums pro investiertem Dollar zu erzielen.

[1] www.forbes.com/sites/dileeprao/2013/07/29/why-99-997-of-entrepreneurs-may-want-to-postpone-or-avoid-vc-even-if-you-can-get-it/

© Dileep Rao 2015; übersetzt aus dem Englischen

Über Dr. Dileep Rao
Clinical Professor of Entrepreneurship an der Florida International University